LIFE.stories

Absurde Geschichten, die der Alltag schreibt
Marc Schnittgers neu bearbeitete »LIFE.stories« verzauberten das Publikum im KulturForum

Kiel – Eigentlich sind es ganz normale Menschen, die sich da auf der Bühne tummeln. Aber eine winzige Drehung an der Stellschraube, die ihr Leben regelt, genügt, und dieses Leben gerät außer Kontrolle. Im Nu wird aus dem Seelsorger und Beichtvater ein geiler alter Bock und Möchtegernpapst, versagen dem Pornodarsteller die Kräfte, was ihn in den versuchten Selbstmord treibt, entpuppt sich der coole Taxifahrer als möglicher Engel der Gefallenen und der Tod hat alle Lust an seinem Handwerk verloren.

Plötzlich erscheint in Marc Schnittgers unter der Regie von Martin Maria Blau entstandenen Produktion »LIFE.stories« die Absurdität jeglicher Existenz auf, wird sinnlich erlebbar, wie nahe das Surreale neben dem All-täglichen lauert, wie untrennbar Komik und Tragik des Lebens miteinander verbunden sind.

Am Sonntagabend zeigten der Kieler Puppenspieler und sein ständiger Puppenspielpartner Arne Bustorff im Kieler KulturForum die schon einige Jahre alten melodramatischen Geschichten um Liebe, Tod und Taxifahren, Stories über das Leben an und für sich in einer neuen, gründlich entrümpelten und zugespitzen Version. Es sind winzige Fingerpuppen, mit denen sie hantieren, die, je länger der Abend dauert, desto überzeugender ein fast menschliches Eigenleben annehmen und an Größe zu gewinnen scheinen. Die Finger werden zu Körpervolumen, zu Flügeln, zu Buckeln. Blitzschnell verwandeln sie sich, nehmen unterschiedliche Gestalt an und machen ihr eigentliches Dasein vergessen. Gerne überließen sich die Zuschauer im KulturForum der Poesie solcher mit Freuden erduldeten Täuschung. Da mit Miles Davis‘ Filmmusik zu Fahrstuhl zum Schafott, mit »As Time goes by« und Melodien von Astor Piazzolla und Aaron Copland die angeschrägten, lose miteinander verknüpften Episoden auf sehr kluge Weise gebrochen wurden, war das Vergnügen des Publikums voll-kommen.

Hannes Hansen, Kieler Nachrichten (11. Oktober 2011)

Ankunft und Abschied
Figurentheater Kiel begeistert mit Gastspiel zum XVIII. Greizer Theaterherbst

Greiz – Den Menschen aus dem hohen Norden sagt man ja oft ein steifes Auftreten nach. Nun, dann ist Marc Schnittger vom Figurentheater aus Kiel mit seinen kleinen Schöpfungen die Ausnahme von der Regel.

Am Mittwochabend gastierte der Schauspieler, Regisseur, Puppenspieler und Figurenbildner mit seinem zauberhaften Stück »LIFE.stories – Liebe, Tod und Taxifahren« beim XVIII. Greizer Theaterherbst.

Die Figuren, die einem als Puppenkopf aufgesteckt auf den flinken Fingern von Marc Schnittger und seinem Puppenspielpartner Arne Bustorff begegnen, sind ein satirischer Querschnitt durch unsere Gesellschaft. Hier und da wird die überspitzt dargestellt, aber immer wunderbar erheiternd, mal nachdenklich machend, mal brüllend komisch, mal emotional ergreifend.

Zu Beginn wird ein Kind geboren, der Lauf des Lebens und der Geschichte kann beginnen. Am Ende werden es rund 30 Episoden sein, die zu einem fabelhaften Theatererlebnis zusammengefügt werden.

Ein abgewrackter Porno-Regisseur träumt vom Grimme-Preis. Von jedem seiner Werke ist er überzeugt: »Das schlägt dem Fassbinder den Boden aus!« Doch sein Hauptdarsteller schwächelt. »Du Versager« heißt es für ihn von allen Seiten. Er will den Freitod als Ausweg aus seiner Misere wählen, doch hat nicht mit dem Unwillen des Sensenmannes gerechnet. »Ich will nicht mehr«, vokalisiert der die Zweifel an seinem Beruf, macht lieber Urlaub und eine Tour mit dem Taxi durch die Stadt.

Der Pfarrer nimmt derweil der verzweifelten Ehefrau die Beichte ab, zu unzüchtig hätte sie es mit ihrem Gatten getrieben. »Mehr davon, wenn möglich auch Fotos«, entgegnet der sündige Gottesmann. Auch der Tod nimmt später im Beichtstuhl Platz, verspricht dem Pfarrer die Vergebung seiner Sünden, wenn ihm die Begnadigung des Selbstmörders verziehen wird. Derweil begibt sich der allwissende Taxifahrer mit der alten Frau auf eine melancholische Reise in die Vergangenheit, besucht Stationen ihres Lebens, bevor der Sensenmann widerwillig seine Arbeit wieder aufnimmt und sich der Reigen des Lebens mit dem Tod wieder schließt.

Schnittger schafft das Kunststück, die vielen Handlungsfäden geschickt miteinander zu verweben. Geschichten werden angerissen, unterbrochen und wieder aufgenommen. Einzige Konstante ist der Taxifahrer, der Menschen und Stories zusammenbringt.

Obwohl immer Teil des Ganzen, erzählt jede Episode für sich eine witzige, bedrückende, humorvolle, leidenschaftliche oder emotionale Geschichte aus dem Leben. Es werden Chancen verpasst, neue ergriffen, ein Leben begonnen und eines beendet. Es wird von Liebe, Trauer, Hass, Versagen und Erfolg berichtet, von Ankunft und Abschied. Dabei verliert sich das Stück nie in übermächtig sentimentalen oder bedeutungsschwangeren Szenen. Besonders gelungen auch der Einsatz von Zeitlupen-Sequenzen, zum Beispiel wenn Mann und Frau sich im Zug erstmals begegnen und die Anziehungskraft der beiden spürbar groß ist. Unterlegt mit ruhiger, auch mal flott-jazziger Musik war »LIFE.stories« ein echter Gewinn zum diesjährigen Theaterherbst-Programm.

Susann Grunert, Ostthüringer Zeitung (18. September 2009)

Leben und Sterben im Puppentheater

Krefeld – Herzschlaggeräusche mit ihrer suggestiven Kraft nahmen die Zuschauer gleich in den ersten Sekunden gefangen, während sich ein Ungeborenes im Weltall um sich selbst drehte. So begannen die LIFE.stories, ein Reigen von 30 Szenen, den Marc Schnittger und Arne Bustorff aus Kiel zum Abschluss der diesjährigen Puppentheatertage in der Fabrik Heeder aufführten – ein Abend für Erwachsene.

Die Freude am Absurden bestimmte das Programm: Eine Dame, die im Zug auf dem Sitz stehend reiste, völlig unverständliche Fahrplandurchsagen, ein Blitzeinschlag, der nicht nur einen Industrieschornstein fällte, sondern gleich die ganze Ebene kippte, auf der er stand, und der Sensenmann, der einen Toten wieder auferweckte, weil er keine Toten mehr annehmen mochte. Jesus durchwanderte als Clochard die Großstadt, ein Porno-Regisseur träumte von Grimme-Preis und Oscar, und der Sensenmann fand sich bei einem lüsternen Priester im Beichtstuhl ein, um die Absolution für sein Versäumnis zu erlangen. An dieser Stelle war der erste Szenenapplaus fällig.

In liebevoller Schlichtheit waren die Puppen und Requisiten gestaltet, und doch mit verschmitztem Detail. Der Sensenstab des Todes war beispielsweise geflickt. Voller Sprachwitz die sparsamen Dialoge und treffsicher die Auswahl der Musik von Miles Davis, Johann Sebastian Bach und Astor Piazolla, wechselnd mit Wolkenbruchrauschen und Straßenlärm. Dazwischen, als am häufigsten wiederkehrende Figur, der Taxifahrer, der alle Skurrilitäten des Lebens kannte, auch Jesus und den Tod chauffierte, dessen Philosophie von den drei Typen Mensch jedoch bis kurz vor Schluss niemand hören wollte.

Am Ende besann sich der Sensenmann seiner Aufgabe, erhörte den Sterbewunsch einer alten Dame und nahm sie mit ins All, während auf Erden ein neues Baby geboren wurde. Selten wurde tiefe Nachdenklichkeit und praller Witz so genial in einer Performance verschmolzen.

Rheinische Post Krefeld (18. Mai 2009)

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